Punschzeit, Feiertage, Fasching – Von der Vergiftung zum Genuss
Wien, 11. Dezember 2014 – Mehr Punschstände, die auch nicht alkoholische Getränke anbieten, eine freiwillige Auszeichnung des Alkohol- und Zuckergehalts der Getränke durch die Standbetreiber und weniger sozialen Druck zum ständigen Alkoholkonsum in der Fest- und Feierperiode: Das thematisierte heute der Verein „Alkohol ohne Schatten“ aus Anlass der Advents- und Weihnachtssaison. Ziel beim Alkoholkonsum sei „Genuss statt Missbrauch“, so die Experten, unsere Gesellschaft müsse wieder Genussfähigkeit erlernen.
„Sind die Fest- und Feiertage zwischen Advent und Fasching wirklich so negativ und bedrohlich, dass sich viele Menschen deshalb besonders häufig betrinken müssen? Haben wir es verlernt, Feste zu feiern, ohne uns dabei mit Alkohol zu narkotisieren?“, so Prim. Univ.-Prof. Dr. Michael Musalek, (Präsident des Vereins „Alkohol ohne Schatten“, Institutsvorstand und Ärztlicher Leiter am Anton Proksch Institut, Wien). Es spräche einiges dafür, dass es hier zu einem gesellschaftlichen Wandel gekommen sei. „Wir leben in einer Erfolgsgesellschaft. Auch große Alkoholmengen zu trinken, wird als Erfolg gewertet, und das bedeutet auch entsprechenden sozialen Druck“, so Prof. Musalek. „Wir leben in einer Spaß- und Vergnügungsgesellschaft. Genuss als höchste Form des Schönheitserlebens darf aber nicht mit Spaß bzw. rascher Lustbefriedigung, und schon gar nicht – wie heute oft anzutreffen – mit Konsum auf hohem preislichem oder quantitativem Niveau verwechselt werden.“
Mehr alkoholfreie Angebote – Freiwillige Auszeichnung der Getränke-Inhalte
Diese Form von Genuss könne mit ein paar schnell getrunkenen Bechern Punsch, dessen Alkoholgehalt und Zusammensetzung den Konsumenten nicht bekannt ist, nicht erreicht werden, so Prof. Musalek. Positiv bei Punschständen, wie sie um diese Jahreszeit das Wiener Stadtbild prägen, sei das Zusammenkommen im öffentlichen Raum und das gemeinsame Erleben. „Wünschenswert wären deshalb Punschstände mit alkoholfreien Getränken, bei denen die konsumierte Alkoholmenge nicht den Genuss trübt“, so der Suchtexperte.
„Es wäre wünschenswert, wenn die Punschstand-Betreiber freiwillig den Alkohol- und Zuckergehalt ihrer Getränke ausweisen würden, um bei Konsumenten das Bewusstsein für die möglichen Folgen zu schärfen“, ergänzt Univ.-Prof. Dr. Bernhard Ludvik (MedUni/AKH Wien, Vorstandsmitglied des Vereins „Alkohol ohne Schatten“). Eine rechtliche Auszeichnungspflicht besteht derzeit nicht.
Problematische Gesundheitseffekte von Punsch&Co
Das sei schon deshalb wichtig, weil süße alkoholische Heißgetränke in größeren Mengen aus mehreren Gründen für die Gesundheit problematisch sein können, warnt Diabetologe Prof. Ludvik: „Glühwein und Punsch haben meist einen sehr hohen Zuckergehalt. Dieser, gemeinsam mit den typischen Gewürzen, überdeckt den Alkoholgeschmack und verleitet dazu, mehr zu trinken, als man verträgt.“ Die Kombination von viel Zucker und warmem Getränk sorge darüber hinaus dafür, dass der Alkohol schneller und stärker „greift“: Der Alkohol gerät schneller in die Blutbahn, die Alkoholaufnahme wird beschleunigt.
Der Alkoholgehalt von Punsch, Glühwein oder Grog schwankt je nach Rezept und Anbieter erheblich – womit sich der Effekt kaum einschätzen lässt. „Legt man die üblichen Rezepturen zugrunde, so enthalten Glühwein, Punsch und Co Alkoholmengen, bei denen schon ein Becher den Alkoholspiegel auf 0,2 bis 0,4 Promille ansteigen lassen kann“, so Prof. Ludvik. Eine Tasse der „Kalorienfalle“ Glühwein oder Punsch könne sich außerdem rasch mit 200 bis 400 Kalorien zu Buche schlagen.
Alkohol hilft nicht beim Verdauen, sondern es kommt, wenn auch fette Speisen verzehrt werden, zu einem raschen Anstieg des Blutfettspiegels. Der Alkohol hindert die Leber am Fettabbau, das Fett reichert sich in der Leber an, und mit der Zeit droht eine gefährliche Fettleber. Zusätzlich kann der Zucker zur Leberverfettung beitragen.
Auch auf die vermeintlich wärmende Wirkung von Punsch und Glühwein sollte man sich nicht verlassen, betont Prof. Ludvik: „Ethanol erweitert die Blutgefäße, was zunächst zu einem angenehmen Wärmegefühl führen kann. Allerdings gibt der Körper durch die geförderte Durchblutung auch die Wärme umso schneller wieder an die Umgebung ab und man friert mehr als vorher.“
Besondere Vorsicht sei bei solchen Heißgetränken mit Alkohol für Diabetiker geboten, so Prof. Ludvik: „Der Alkohol, und umso mehr gemeinsam mit dem Zucker, lassen den Blutzuckerspiegel zunächst gefährlich rasch und hoch ansteigen. Dazu kommt, dass dann der Blutzuckerspiegel auch wieder sehr rasch absinkt, sodass es zur Hypoglykämie (Unterzuckerung) kommen kann.“
Problematischer Alkoholkonsum hat auch kurzfristig negative Auswirkungen auf die Psyche: Dazu gehört seine anästhesierende und enthemmende Wirkung. Letztere fördert, dass man mehr trinkt als man sollte und wollte, die anästhetisierende Wirkung wiederum reduziert Genuss und Erlebnisfähigkeit, so Prof. Musalek: „Nach dem Genuss sollte man sich noch an den Genuss erinnern können und keinen hohen Preis wie Kontrollverlust, ‚Filmriss‘ und Alkoholkater bezahlen müssen.“
Probleme entstehen nicht zwischen Advent und Neujahr, sondern zwischen Neujahr und Advent
„Als Hausärztinnen und Hausärzte, die mit ihren Patienten ein enges Vertrauens- und Betreuungsverhältnis haben, wissen wir: Das Problem, dass das gelegentliche Genussglas zum gefährlichen Risikotrinken oder zur Abhängigkeit wird, entsteht nicht zwischen Advent und Neujahr – sondern zwischen Neujahr und Advent“, sagt Dr. Barbara Degn (Allgemeinmedizinerin in Wien, Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin ÖGAM, Vorstandsmitglied des Vereins „Alkohol ohne Schatten“). „Auch wenn problematischer Alkoholkonsum oft rund um die Feiertage besonders sichtbar wird, ist wichtig, dass wir das ganze Jahr über auf Warnzeichen achten und diese ansprechen. Und dies möglichst früh, denn wie bei vielen anderen gesundheitlichen Problemen gilt auch hier: Je früher die Erkrankung erkannt wird, desto bessere Hilfe ist möglich. Leider wird die Diagnose Alkoholkrankheit nach wie vor oft erst dann gestellt, wenn bereits tatsächliche Organschäden eingetreten sind.“
Es sei ein Problem, dass es viel zu wenige spezialisierte Therapieangebote für schwer alkoholkranke Patienten gibt. „Ein weiteres Problem sehe ich darin, dass in unseren Ordinationen wegen hoher Patientenfrequenzen oft die Zeit fehlt, die aufwändigen ärztlichen Gespräche mit alkoholkranken oder -gefährdeten Patienten zu führen“, so Dr. Degn. Auch die derzeit definierte Sonderleistung „ausführliches ärztliches Gespräch“ decke den erforderlichen Aufwand nicht ab. „Damit wir Allgemeinmedizinerinnen und Allgemeinmediziner uns noch besser um Gefährdete und Erkrankte kümmern können, sollten die Krankenkassen die Früherkennung, Frühintervention und Betreuung von Alkoholgefährdung und -abhängigkeit mit einer adäquaten Honorierung abgelten – wie es in Wien zum Beispiel bei der Betreuung von opioidabhängigen Patienten bereits der Fall ist“, so die Expertin.
Große Bedeutung der Frühintervention
Ein zentraler Faktor bei der Therapie eines Alkoholproblems ist der Zeitpunkt der ersten Intervention, „weil eine frühzeitige Diagnose bei der betroffenen Person eine Einstellungsänderung oder deren Behandlung ermöglicht, und sie beugt Schädigungen in späteren Abhängigkeitsphasen vor“, betont Prof. Musalek. „Bei der Diagnose und Therapie der Alkoholabhängigkeit ist zuletzt einiges in Bewegung geraten. Galt noch vor kurzer Zeit absolute Alkoholabstinenz als einziges Behandlungsziel, streben wir heute auch Alkoholreduktion und moderaten Alkoholkonsum an. Totalabstinenz ist für viele Menschen nicht erreichbar und außerdem kein attraktives Konzept. Für sie ist Dosisverringerung als sinnvolles erstes Etappenziel anzusehen. Ein innovatives Medikament kann dabei in jeder Phase unterstützen.“
Liegt bei einem Menschen bereits eine körperliche oder starke psychische Abhängigkeit oder ein Entzugssyndrom vor, bleibt Abstinenz das Behandlungsziel. Trotzdem kann für Patienten, die dieses Ziel nicht erreichen, auch im Spätstadium eine Reduktion der Alkoholmenge sinnvoll sein, weil damit zumindest einige organische Schäden verringert werden können.
Gemäß dem neuen Diagnose-System DSM-5 der Amerikanischen Psychiatrie-Gesellschaft (APA), das in absehbarer Zeit auch in Österreich gültig sein dürfte, kann Alkoholabhängigkeit in Zukunft nicht erst im Spätstadium diagnostiziert werden, sondern bereits in einem frühen Stadium, in dem die Prognose viel besser ist. Was bisher als problematischer Konsum bezeichnet wurde, gilt demnach als Frühstadium der Alkoholkrankheit. „Wir werden uns also in der Behandlung viel öfter als bisher mit Frühstadien auseinander setzen, in denen auch noch Therapieziele wie moderater und kontrollierter Konsum erreichbar sind“, so Prof. Musalek.
Harmlosigkeits- und Gefährdungsgrenzen bei Frauen und Männern
Die Harmlosigkeitsgrenze (Handbuch Alkohol Österreich, BMG 2011) sollte nicht überschritten werden: Sie beträgt bei Männern geringfügig mehr als einen halber Liter Bier oder ein viertel Liter Wein pro Tag (24 Gramm Reinalkohol). Bei Frauen beträgt sie geringfügig weniger als einen halber Liter Bier oder ein viertel Liter Wein pro Tag (16 Gramm Reinalkohol).
Die Gefährdungsgrenze liegt bei Männern bei 1,5 Liter Bier oder drei Viertel Liter Wein pro Tag, bei Frauen bei 1 Liter Bier oder einem halben Liter Wein pro Tag. Bzw. bei Männern bei 21,2 Österreichischen Standardgläsern (ÖSG = halber Liter Bier, bzw. viertel Liter Wein bzw. 2 cl Schnaps bzw. 2 Gläser Sekt) pro Woche, bei Frauen bei 14 ÖSG.
Prof. Musalek: „Allerdings sind das alles nur sehr grobe Richtwerte. Denn auch ein täglicher Konsum ohne alkoholfreie Tage kann auch schon um die ‚Harmlosigkeitsgrenze‘ herum zum problematischen werden. Vor allem auch dann, wenn man alkoholische Getränke nicht mehr zum Genuss, sondern als Medikament verwendet, um z. B. Arbeits- oder familiäre Belastungen zu be- und überstehen.“